Ode an das Unperfekte

Allgemein

Einfach machen klingt oft so plump dahergesagt. Meist gibt es für die vielen Arten Entscheidungen zu treffen eine breite Palette von Möglichkeiten, und bis man die alle durchdacht hat, vergehen schnell mal nicht nur ein paar Tage, sondern ganze Jahreszeiten. Vor lauter Entscheidungsmöglichkeiten trifft man dann vielleicht sogar gar keine Wahl und bleibt gänzlich untätig. Ist „einfach mal machen“ also doch die bessere Alternative?

Vor ungefähr sieben Jahren habe ich zum ersten Mal über Minimalismus gelesen. Insbesondere amerikanische Blogger wie Leo Babauta, Courtney Carver, Joshua Becker und noch viele weitere inspirierende Menschen haben mit ihren Blogs mein Interesse an Minimalismus als Lebensstil geweckt und wurden dann relativ schnell ein fester Bestandteil meiner täglichen Online-Lektüre.

Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich bis 2018 über 6.000 Gegenstände aus meinem Haushalt spenden und entsorgen, einfach so in eine andere Stadt ziehen und dann einen Blog zum Thema Minimalismus schreiben würde, ich hätte ihn von ganzem Herzen ausgelacht. Mindestens eine halbe Stunde. Volles Programm mit Lachtränen, gehaltenem Bauch und Schenkelklopfen.

6.000 Dinge! Das ist unfassbar viel und klingt nach einem Lebensentwurf von unabhängigen jungen Männern in weißen durchgestylten Wohnungen ohne jegliche persönliche Note (um an dieser Stelle mal volle Kanne das Klischee zu bedienen).

Tatsächlich haben mich die vielen tollen Impulse in den Blogs so sehr inspiriert, dass ich wirklich einfach mal gemacht habe. Ich habe einfach angefangen.

Der Kleiderschrank war das erste Versuchsobjekt, und mit jedem Gang zum Second-Hand-Laden, zum Kleiderflohmarkt, zu wohltätigen Einrichtungen und auch zum Altkleidercontainer fiel das Loslassen leichter. Und ja, Stück um Stück machte dieses Abschiednehmen von Dingen mehr und mehr Spaß. Schon komisch!

2015 habe ich es dann gewagt, größer zu denken und einfach mal die „Challenge 2015“ mitzumachen: 2.015 Gegenstände im Laufe des Jahres 2015 spenden, verschenken, verkaufen oder entsorgen. Und was soll ich sagen, mit Zettel und Stift bewaffnet habe ich im Laufe des Jahres hunderte von Strichen für jeden entsorgten Gegenstand gemacht. Jeder Strich war wiederum ein Ansporn weiterzumachen. Der Trick dabei ist wohl im schönen Neudeutsch die sogenannte „Gamification“, platt übersetzt, ein Spiel aus sonst vielleicht eher anstrengenden Aufgaben zu machen. Und genau diese spielerische Herangehensweise macht tatsächlich einen großen Unterschied, und auf einmal entsteht Spaß und Ansporn. Verrückt!

Das ganze Jahr 2015 habe ich nun also hoch motiviert entsorgt und entrümpelt und dabei der einen oder anderen Person eine Freude machen können, mit Dingen, die ich nicht mehr gebrauchen konnte, für andere aber durchaus wertvoll waren.

Auf der Zielgeraden Richtung Jahresende war ich unglaublich stolz: Die Grenze der 1.800 war schon geknackt, und zwischen Weihnachten und Neujahr mit Zeit und Muße standen dann die Gerümpel-Mysterien im Keller an. Dort aus alten Kisten und Kartons noch etwa 200 Gegenstände als entbehrlich zu identifizieren sollte kein Problem sein. Auf zum Endspurt, so der Plan. Der Mann an meiner Seite auch hoch motiviert mit von der Partie, und so brachten wir am Abend des 31. Dezember 2015 unsere Zahlen zusammen und addierten die entsorgten Gegenstände bevor es losging zur Silvesterparty. Tja, und was soll ich sagen: das Endergebnis war die Zahl 1.985. Ah!

Kein Schönreden möglich: Die Challenge 2015 nicht geschafft! Und das auch noch so kurz vor dem Ziel.

Aber hey, wer sagt denn, dass man perfekt sein muss. Tatsächlich hat mich die verpasste magische Grenze dazu motiviert, das Ganze 2016 nochmal neu zu versuchen. Und 2017 auch. Mit diesem Ziel vor der Nase habe ich nun nach 3 Jahren über 6.000 Gegenstände entsorgt. Der Wahnsinn!

Das reine Entrümpeln ist dabei aber am Ende gar nicht das medaillenverdächtige Ergebnis: Tagtäglich staune ich über die neu gewonnene Freiheit. Diese neue Freiheit ist für mich ein Lebensstil, der mir erlaubt, mich fast ausschließlich mit Dingen zu umgeben, die mein Leben verschönern, und den Raum zu schaffen für Begegnungen mit den Menschen, die mir am Herzen liegen.


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